Im Sommersemester 2021 fand an der Fakultät für Physik, Uni Wien, die Ringvorlesung “Die Verantwortung der Hochschule – Rüstungsforschung und Perspektiven für eine Zukunft ohne Krieg” statt. Die Lehrveranstaltung wurde geleitet von Marcus Huber, Elmar Flatschert und Manuel Längle. Inhaltlich waren wir bei der Planung sowie Konzeption involviert, außerdem haben wir die Vorlesung technisch und organisatorisch begleitet.
Ziel der Lehrveranstaltung war es, Student:innen durch verschiedene Vorträge an für uns relevante Themen heranzuführen. Die Vorträge wurden von Wissenschaftler:innen und Expert:innen gehalten und lassen sich thematisch fünf Themenblöcken zuordnen:
Forschungsfinanzierung, Drittmittel und Dual Use Forschung
Kritische Wissenschaft
Friedlicher Aktivismus
Rüstungsforschung und Rüstungsindustrie in Österreich und der EU
Kolonialismus, Neoliberalismus und Sicherheit
Die Vorträge sind unten zu finden.
Eine kritische Perspektive auf Forschungsfinanzierung & Zivilklauseln: Was und Warum eigentlich? – Marcus Huber und stugeru
In dieser Aufzeichnung gibt Marcus Huber einen kurzen Einblick ins Thema Forschungsfinanzierung und geht dabei überblicksmäßig auf relevante Begriffe ein. Dazu zählen etwa Rüstungsforschung, Drittmittel, Dual Use, Open Access, Antrags- und Auftragsforschung, Lenkungseffekt, etc. Zudem erklärt er Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Forschung und forschungsfinanzierenden Institutionen und geht darauf ein, wie militärische Rüstungsforschung durch white washing an Legitimität gewinnt und weshalb es kaum öffentliche Kritik dagegen gibt.
Zudem stellen wir als Studierende gegen Rüstungsforschung (stugeru) uns und unsere Ziele vor, zu denen die Einführung einer Zivilklausel an österreichischen Hochschulen zählt. Es wird erklärt, was eine Zivilklausel ist und weshalb eine solche dringend notwendig wäre.
Österreichs Neutralität als wichtiger Friedensbeitrag und die Rolle der Gewerkschaften – Wilfried Leisch
Wilfried Leisch behandelt in seinem Vortrag die Themen Neutralität und Gewerkschaften. Er geht dabei u.a. der Frage nach, wie eine Konversion der Gesellschaft in Richtung Frieden mit dem Instrument der Neutralität gelingen kann. Zudem beleuchtet er die Rolle von Gewerkschaften an der Wahrung von Unabhängigkeit und Neutralität sowie an der Friedenssicherung. In diesem Sinne greift er Fragen wie jene nach dem Nutzen von Krieg und Frieden, nach Militarisierung des Alltags, nach den Möglichkeiten einer Nutzung von Neutralität für eine aktive Friedenspolitik, sowie nach aktiver gewerkschaftlicher Antikriegspolitik auf.
Rüstungskonversion: das Gebot der Stunde. Militär ist Klimakiller Nr. 1 – Anne Rieger
Anne Rieger bespricht in ihrem Vortrag den Begriff der Rüstungskonversion. Damit ist die Umstellung von Kriegswaffenherstellung und Rüstungsgütern auf die Produktion ziviler Güter gemeint. Diese ist friedens- und klimapolitisch dringend notwendig, aber von vielen Schwierigkeiten begleitet: Die Beschäftigten fordern Arbeitsplätze, die Konzerne Gewinne, die Politiker:innen Waffen für Interventionen. Ist Rüstungs- und Klimakonversion damit eine Illusion? Die Geschichte der Konversion wird behandelt, erfolgreiche und nicht erfolgreiche Konversionen dargestellt, die politischen, wirtschaftlichen, technischen, personellen und friedenspolitischen Voraussetzungen von Konversion werden diskutiert. Um Konversion anzugehen, ist es notwendig zu wissen, wer wo in der EU – inklusive Österreich – Waffen, herstellt. Konversion ist umfassender, auch Liegenschafts-, Wissens-, Human-, Finanz-Konversion werden behandelt sowie Diversifikation, Dual Use Strategien und Klimaverschmutzung durch Herstellung und Anwendung der Waffen.
Rüstungsproduktion: Ein Blick auf Staat, Industrie und Zivilgesellschaft – Lucia Hämmerle
Staat, Industrie und Zivilgesellschaft sind die Akteur:innen der Rüstungsproduktion – auch in Österreich. Im Vortrag wird nicht nur darauf eingegangen, unter welchen Voraussetzungen und basierend auf welchen Grundlagen Rüstungsgüter produziert werden, sondern ebenso der Frage nachgegangen, was die Involvierten jeweils motiviert und wie sie ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft verstehen. Auch die Notwendigkeit zur (In-)Transparenz wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
Rüstungs- und Militärpolitik in der EU. Eine friedenspolitische Einordnung – Thomas Roithner
Friedensvision EU ist wie Schrödingers Katze. Sie ist gleichzeitig lebendig und tot. Brillant ist, dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen. Sie kooperieren. Die Krux an der Sache: im EU-Rahmen entwickeln sie gemeinsam neue Waffen, entsenden Soldat:innen und verkaufen Rüstung. Erstmals gibt es ein EU-Rüstungsbudget. Ein EU-Rüstungsfonds, ein militärisches Kerneuropa, militärischer Grenzschutz und leichteres militärisches Intervenieren werden umgesetzt. Militärmacht und Wirtschaftsmacht gehen auch in der EU Hand in Hand, doch zivile Ansätze halten nicht Schritt. Ja, warum eigentlich nicht?
Wissen, Herrschaft und epistemische Gewalt in der kolonialen Moderne – Claudia Brunner
Der Dimension des Wissens wird in den meisten Gewaltdebatten nur wenig Bedeutung beigemessen, gilt sie doch als Gegenteil von oder als Gegenmittel zu Gewalt. Mit dem Begriff der epistemischen Gewalt rückt Claudia Brunner den konstitutiven Zusammenhang von Wissen, Herrschaft und Gewalt in der kolonialen Moderne, unserer Gegenwart, in den Fokus. Denn Gewalt ist nicht nur Ereignis, sondern immer auch Prozess und Verhältnis. Vor diesem Hintergrund gewinnt antimilitaristisches Denken und Handeln ebenso an Komplexität wie auch der Einsatz für Gewaltfreiheit.
Podiumsdiskussion I: Gewaltfreier Widerstand für eine Welt ohne Atombomben. (englisch) – Cristina Yurena Zerr
Aktivistinnen erzählen
Die drei Aktivistinnen erzählen von ihrem vielseitigen Engagement gegen Atombomben und von der aktuellen Situation in ihren jeweiligen Ländern.
Marion Küpker (Deutschland) von der Organisation Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen bekam letztes Jahr den Aachener Friedenspreis. Seit Jahren setzt sie sich für den Abzug der US-amerikanischen Atombomben am Militärstützpunkt Büchel (D) ein und organisiert vor den Toren der Basis eine 20-wöchige Aktionspräsenz.
Susan Crane (USA) ist Kriegssteuerverweigerin und Anti-Kriegs-Aktivistin. Sie lebt in Californien gemeinsam mit Obdachlosen und setzt sich seit 48 Jahren gegen die Kriegspolitik ihres Landes ein. Sie war insgesamt über 6 Jahre für ihre Friedensaktionen im Gefängnis.
Nadja Schmidt (Österreich) initiierte 2012 als Mitgründerin den österreichischen Zweig der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), einer internationalen Koalition von NGOs, die 2017 für ihr Engagement den Friedensnobelpreis verliehen bekommen haben.
Leona Morgan (she/her) (Mexico) is Diné, and grew up on the Navajo Nation. She has been fighting nuclear colonialism since 2007. Leona co-founded Diné No Nukes, to address uranium mining as part of the entire nuclear fuel chain; and Nuclear Issues Study Group, which works to “protect New Mexico from all things nuclear.” Leona is also part of the international campaign Don’t Nuke The Climate that focuses on nuclear energy as a global climate issue.
Welche und wie viel Kritik können wir von der Wissenschaft erwarten? – Alex Demirović
Der Vortrag von Alex Demirović befasst sich mit dem kritischen Potenzial von Wissenschaften. Er geht dabei im Sinne der kritischen Theorie auf das Verhältnis von Wissen bzw. Wissenschaft und Macht ein und stellt die Frage, inwieweit wir durch Wissen Macht ausüben. Zudem unterscheidet er verschiedene Wissens- und Wissenschaftskulturen und behandelt deren Zugang zu moralischen Aspekten in der Wissenschaft sowie ihre Beantwortung der Frage, ob Wissenschaft neutral ist/sein kann. Zentral ist auch die Rolle der Gesellschaft und die Diskussion darüber, was „richtige“ Forschung ist.
Forschung als Waffe? Ein historischer Rückblick auf die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft im Kontext von Rüstungsforschung – Christiane Fuchs
Nach einer kurzen Einführung ins Themenfeld „Rüstungsforschung und Wissenschaft“ gibt Christiane Fuchs in ihrem Vortrag einen historischen Überblick zu Rüstungsforschung im 20. Jahrhundert und beleuchtet dabei vor allem die Rolle von Physiker:innen, beispielsweise bei der Entwicklung der Atombombe, sowie die gesellschaftliche Verantwortung in dieser Hinsicht. Außerdem geht sie auf Widerstände von Physiker:innen gegen militärische Forschung ein, wo u.a. das Russell-Einstein-Manifest von 1955 und die Göttinger Erklärung von 1957 behandelt werden. Zuletzt spricht Christiane Fuchs noch von der Zivilklauselbewegung und dem Zusammenhang von Zivilklauseln und Transparenzklauseln.
Feministische Militärforschung – Gewalt und Geschlechterbeziehungen im Militär – Louise Thiel
Der Umfang soziologischer Analysen des Militärs steht im deutschsprachigen Raum in keinem Verhältnis zu seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung. Von Seiten kritischer Sozialwissenschaftler:innen scheint es eine gewisse Scheu vor der Thematik zu geben. Viele der vorliegenden Studien sind hingegen im unmittelbaren Umfeld der deutschen Bundeswehr oder des österreichischen Bundesheeres entstanden. Auch die feministische Forschung zur Einbindung von Frauen* in die Streitkräfte bewegt sich größtenteils an den Polen entweder sehr großer oder aber fehlender Distanz zum Forschungsfeld.
Nach einer kritischen Beleuchtung der Forschungssituation gibt Louise Thiel einen kurzen Einblick in ihre Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Gewalt und Geschlechterbeziehungen im mexikanischen Militär. Dabei steht Gewalt als Kernelement des Militärs im Fokus der Analyse, die Selbstverständlichkeit der Figur des Soldaten als männlich, stark, gewalt- und todesbereit wird kritisch hinterfragt.