Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen,
du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
– Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins! Sag NEIN!
Gesellschaftliche Anforderung an Hochschulen
Hochschulen sind soziale Wirkungsstätten. Sie sind Ausbildungs- und Bildungsort. Sie sind Lebensraum. Sie sind Forschungsstätten. Sie sind Innovationshubs und Wirtschaftsfaktoren. Sie sind Orte der Begegnung und der Interaktion. Sie sind Selektoren von Lebenschancen. Sie sind Radikalisierungsmöglichkeiten. Sie sind viel und noch viel mehr.
Die Hauptaufgaben von Hochschulen sind Lehre und Forschung. Es gibt auch eine dritte Säule an Aufgaben, die so genannte third mission, die die Uni Wien zum Beispiel als “die gezielte Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Umgang mit vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen”, sowie “der Transfer von Technologien und Innovationen in Form von Kooperationen mit der Wirtschaft” definiert. Damit sind die Aufgaben von Universitäten vielfältig.
Man würde erwarten, dass sie Antworten auf die gesellschaftlich wichtigen Fragen suchen und Lösungen für eine Zukunft für alle entwickeln, doch kann eine Uni dem gerecht werden? Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele für die Menschheit festgelegt, die UN Sustainability Goals. In unseren Augen sollte das Hauptaugenmerk von Universitäten darauf liegen, zu diesen beizutragen. In Lehre, Forschung und third mission.
Kommen Unis dem nach?
Wie mit allen spannenden Dingen im Leben ist die Antwort: “Es ist kompliziert”. Einerseits passieren auf Unis ganz viele gesellschaftlich hoch relevante Dinge, welche zur Erreichung dieser Ziele beitragen, andererseits sind Universitäten Orte mit starken Hierarchien, an denen Mitarbeiter:innen prekär beschäftigt sind und Studierende durch Überforderung in Depressionen getrieben werden. Es sind Orte, an denen die Folgen des Klimawandels bis ins kleinste Detail simuliert werden und Orte, an denen Menschen beschäftigt sind, die mehr als 40 Flüge im Jahr zu verschiedenen Konferenzen tätigen. Es sind Orte, in denen marxistische Staatstheorie unterrichtet wird und an denen es “Historiker” gibt, die den Nazifaschismus relativieren. Orte, an denen feministischer Materialismus unterrichtet wird und Deutschnationale Burschenschaften jede Woche in Uniform herumspazieren. Es sind Orte, an denen die Folgen von Kolonialismus und Krieg erforscht werden und Orte, an denen Rüstungsforschung betrieben wird. Es sind widersprüchliche Orte, an denen Diskurs und Konflikt notwendig sind.
Und in einer materialistischen Welt sind Unis Arbeitgeber und Ausbildungsstätten. Sie sind Werber um finanzielle Mittel. Sie sind Institutionen, die beurteilt und gerankt werden, die quantitative Anforderungen erfüllen müssen. Und diese Anforderungen sind oftmals überraschend anders als das Streben für eine bessere Welt.
Momentan sind Anforderungen an Hochschulen, dass diese in internationalen Universitätsrankings gut abschneiden und Gelder einwerben, entweder von staatlichen Drittmittelgeber:innen, Unternehmen oder dem Militär verschiedener Staaten. Von diesen Anforderungen ist das Grundbudget der Unis für die nächsten Jahre abhängig, und mit dem Grundbudget das Gehalt vieler momentaner und zukünftiger Mitarbeiter:innen. Dies ist nicht nur in Österreich so, sondern ein globaler Trend. Jedes reiche Land will einige Unis in den Top xx der Welt haben, aber ob es eine gute Idee ist, privaten Verlagen, die willkürliche Kriterien anwenden, Macht über Hochschulbudgets zu geben, ist fraglich. Auch ob Forschungsinstitutionen, welche mehr externe Finanzierung bekommen, höhere Grundmittel erhalten sollten ist fraglich, denn die Forschungsfragen, für die Unternehmen und Förderfonds bereit sind Geld auszugeben, sind oft nicht jene, die die Menschheit weiterbringen.
Die Freiheit der Wissenschaft
“Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei” – Staatsgrundgesetz, Art. 17.
Doch diese Freiheit ist permanent bedroht. Staaten und staatliche Institutionen bedrohen sie, indem sie vorgeben, welche Themengebiete durch Drittmittel gefördert werden sollen. Unis bedrohen sie, indem sie mehr Stellen in hype-Gebieten schaffen als in gesellschaftlich relevanten Gebieten und Wissenschaftler:innen bedrohen sie, indem sie Forschungsfragen nicht nach der wissenschaftlichen, sondern nach der wirtschaftlichen und verteidigungs-/sicherheitspolitischen Relevanz stellen. Forschungsförderungsanträge sind in den meisten Fällen Gehälter für (Doktorats-)Studierende und Post-Docs. Einwerben von Drittmitteln ist relevant für die akademische Karriere. Arbeiten an gewissen Themen ist nur dann möglich, wenn Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Zynisch könnte man sagen: “Wissenschaftler:innen sind frei, sich für Gelder bei folgenden Institutionen zu bewerben.” Mehr zu Forschungsförderung kann man in einer Einheit der Ringvorlesung zu diesem Thema hören. Eine wichtige Rolle bei der Freiheit der Wissenschaft spielt die Lebenssituation, in der sich Forschende befinden.
Prekariat der Wissenschaft
Forscher:innen sind Menschen, die vor ganz banalen und pragmatischen Fragen stehen. Wo arbeite ich nächstes Jahr? Wer zahlt mein Gehalt? Wie zahle ich meine Miete? Was esse ich heute zu Mittag?
Die Arbeitsverhältnisse sind zwar meist gut bezahlt, haben jedoch keine langfristige Perspektive. Für Menschen, die selbst nicht aus dem Bereich kommen, mag es abstrus wirken, dass Menschen nach 5-10 Jahren intensiver Ausbildung und immenser investierter zeitlicher und finanzieller Ressourcen um ihre berufliche Zukunft bangen müssen, aber die Situation ist sehr eigenartig. Es gibt nämlich ausschließlich befristete Arbeitsverhältnisse für Forscher:innen mit einer Obergrenze an Jahren pro Institution (§ 109 des 2021 verabschiedeten Universitätsgesetzes in Österreich). Wenn man in einer Stadt bleiben möchte und weiterhin den Beruf ausüben möchte, den man erlernt hat, dann ist die Anzahl der Institutionen, die einen anstellen können, auf vermutlich zwei bis maximal fünf beschränkt. Um die Institutionen, von denen man Geld bekommen kann, steht es ähnlich. So sind Wissenschaftler:innen einerseits extrem gut ausgebildet, jede:r unter ihnen gehört oft zu den Besten weltweit in einem Gebiet, andererseits ist man damit auch einfach “Fachidiot:in” und für viele andere Arbeiten überqualifiziert.
Während also vor allem junge Forscher:innen quasi permanent vor existenziellen Fragen stehen, können manche Dinge leicht aus den Augen geraten. Wie zum Beispiel die Frage, wer das Geld zur Verfügung stellt. Gut sein reicht nicht, vor allem braucht man Glück. Und manchmal kann Glück sein, dass eine militärische Einrichtung, ein Waffenkonzern, oder eine andere fragwürdige Institution sich für die eigene Forschung interessiert und eine:n finanziert. Dann kann man bleiben, vielleicht sogar mit langfristiger Perspektive. Wie kann man als Wissenschaftler:in Gelder ablehnen, die die eigene Existenz sichern würden? Wie kann man verantworten, dass die eigenen Mitarbeiter:innen arbeitslos werden, weil man kein Geld vom Militär oder Waffenproduzent:innen annehmen möchte?
Wer die Frage stellt ist wichtig
Ob man für eine zivile oder eine militärische Institution oder mit zivilen oder militärischen Mitteln forscht, macht einen Unterschied. Die wissenschaftliche Methode sollte verhindern, dass die Antwort auf die gestellte Frage von der fragenden Institution abhängt, jedoch wird die Forschungsfrage von der materialistischen Realität beeinflusst. Das ist etwas abstrakt, also besser in einem Beispiel: Eine Materialwissenschaftlerin, die an extrem harten Wolfram-Legierungen forscht, wird von einem militärischen Geldgeber andere Forschungsfragen bekommen als von der Zivilgesellschaft. Und wenn sie selbst einen Forschungsantrag schreibt, kann sie auch andere Forschungsfragen stellen, die wahrscheinlicher interessant sind für Fördergeber:innen.
Wissenschaftler:innen foschen in vielen Fällen nicht um der Forschung willen und stellen Fragen um der Fragen willen. Natürlich ist das ein Teil, aber oft betreibt man seine Forschung auch für das große Ganze. Klimaforscher:innen finden nicht einfach nur Temperaturkurven und die Atmosphäre interessant. Sie sind Teil einer Gesellschaft und möchten für diese Gesellschaft handeln. Und ihr Beitrag ist enorm wichtig.
Zivilklauseln als Schutz
Zivilklauseln sollen nicht verhindern, Wissenschaftler:innen Zugang zu Finanzierung zu geben, aber sie sollen einschränken, wer durch Geld Zugriff darauf bekommt, was geforscht werden kann und darf. Das ist kein völlig neues Konzept. Zum Beispiel darf keine Forschung an Menschen gemacht werden, die diesen schaden würde, ohne explizite Einverständnisse und ethische Gutachten. In diesem Sinne ist die Zivilklausel wichtig, um Forscher:innen, die den Anspruch haben für eine bessere Welt zu forschen, zu stärken.
Für Friede, Demokratie und Nachhaltigkeit
“Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeiten der menschlichen Existenz zu erleichtern.” – Leben des Galilei 14. (Bertolt Brecht)
Wissenschaft hat Kolonialismus und Kapitalismus möglich gemacht. Die Rassenlehre hat Entmenschlichung und damit Unterwerfung von Milliarden Menschen gerechtfertigt, Tropenmedizin sollte es weißen Menschen ermöglichen in unzugängliche Gegenden Afrikas vorzudringen, um diese auszubeuten. Kapitalismus braucht Wachstum und Wachstum braucht neue Produkte und Effizienzsteigerung, beides ist nicht möglich ohne wissenschaftlichen Fortschritt. Wissenschaft ist weder etwas Wertneutrales, noch etwas Gutes. Wissenschaft ist eine Methode, die es für das Gute zu verwenden gilt! Und daher muss Wissenschaft in einem vernünftigen Diskurs mit der Gesellschaft stehen.
Zivile Lösungen für eine friedliche Welt
Was es braucht sind zivile Lösungen, die konsequent verfolgt werden. Um zu einer friedlichen Welt zu kommen, braucht es unser aller Anstrengung. Es braucht eine Stärkung derer, die dafür kämpfen und eine Schwächung derer, die dagegen kämpfen. Der Kampf um Zivilklauseln mag wirken wie ein kleiner, elitärer, abgehobener, fernab von den großen Problemen dieser Welt. Doch es geht um viel, denn irgendwo muss es beginnen.
Hätte sich eine aufgeklärte Zivilgesellschaft die Frage “Brauchen wir Atombomben?” gestellt, würde unsere Welt heute vielleicht fundamental anders aussehen und es würde keine dieser völkerrechtswidrigen Massenvernichtungswaffen geben.